Aus dem Leben

Aufatmen

Der Kirchentag in Hamburg ist vorbei. Ich atme auf.

Seit einigen Jahren bin ich überzeugte Atheistin, und je mehr ich mich mit dem Thema »Kirche und Glauben« auseinandersetze, desto mehr gruselt es mich. Ich war viele Jahre selbst in verschiedenen Gruppen kirchlich engagiert (Kindergottesdienst, Kirchenmusik etc.) und habe erst viele Jahre später — mit dem nötigen Abstand — mich dazu entschieden, der Kirche (und dem Glauben) den Rücken zu kehren.

Jeder Mensch kann glauben, was er/sie glauben möchte, aber bitte ohne staatliche Zuschüsse. Dass nur ein Bruchteil der Kirchensteuer für soziale Zwecke genutzt wird, ist längst kein Geheimnis mehr. Aber selbst wenn ich mich dazu entschieden habe, konfessionslos zu leben, zahle ich kräftig mit. Allein für den zurückliegenden Kirchentag hat die Stadt Hamburg 7,5 Mio. Euro ( = 40 % des Gesamtbetrages) gezahlt – von Steuergeldern! Mittlerweile sind knapp 40 % aller in Deutschland lebenden BürgerInnen konfessionsfrei (37,6 %) bzw. gehören anderen Religionen an (2,1 %) (Stand: 2011 / Quelle: Statistisches Bundesamt). Selbst die konservative Zeitung WELT hat einen kritischen Bericht mit dem Titel »Was der Kirchentag wirklich kostet« veröffentlicht.
Jährlich werden die Staatskirchen Deutschlands mit 14 Milliarden Euro subventioniert. Diese und weitere unglaubliche Fakten werden auf der Website »Kirche einsparen« dargestellt. Leider denken noch immer viele Menschen, sie täten Gutes, wenn sie Kirchensteuer zahlten, da das Geld für soziale Zwecke eingesetzt würde. In Wahrheit wird nur ein Bruchteil hierfür von der Kirche genutzt (ca. 8–10 %). Zwischen 60 und 70 % der Steuer fließen in Personalkosten kirchlicher Einrichtungen ein.
Mit einem Kirchenaustritt kann man das Geld, das ansonsten als Kirchensteuer eingezogen worden wäre, direkt als Spende für einen guten Zweck ihrer/seiner Wahl einsetzen.

Was mich am meisten in dieser Woche entsetzt hat: als ich mich für den Deutschen Humanistentag 2013 anmeldete, der zur gleichen Zeit wie der Kirchentag stattfand, fand ich heraus, dass diese Veranstaltung nicht einen Cent Zuzahlung von der Stadt Hamburg erhält und obendrein die Werbung für diese Veranstaltung vom HVV zunächst abgelehnt wurde. Grund war das Motto »Gut ohne Gott«, das bei Gläubigen Unwillen hervorrufen könne. Wörtlich heißt es seitens des Werbevermittlers STRÖER:

»… für die Freigabe müsste Ihre Vorlage leicht abgeändert werden. Könnten Sie auf den Claim GUT OHNE GOTT verzichten? Der zweite Satzteil ›Auf den Menschen kommt es an!‹ könnte ja evtl. auch allein stehen, oder? Ansonsten wären nach unseren Erfahrungen Kunden­beschwerden vorprogrammiert, was wir gern vermeiden möchten. Vielen herzlichen Dank.«

Einen Tag später sprach der Verkehrsverbund von einem Missverständnis – die Werbung wurde genehmigt.

Auf der Tagung selbst erfuhr ich von freundlichen Veranstaltern, die am Bücherstand verkauften, dass die Stadt Druck auf den Veranstaltungsort, die Fliegenden Bauten, ausgeübt hätte, die Tagung stattfinden zu lassen. Dem guten Rückgrat dieser Einrichtung ist es zu verdanken, dass sie sich dem widersetzten und die Tagung reibungslos stattfinden konnte.

Der Pressesprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (Philipp Möller) — Mitorganisator des Deutschen Humanistentages — hat letztes Jahr für eine ZDF-Dokumentation als Atheist am Kirchentag teilgenommen. Der Beitrag ist sehr sehenswert.

Nach diesen Erfahrungen bin ich ehrlich entsetzt, wie weit wir noch von der Säkularisierung entfernt sind. Wie kann es sein, dass ein denkender Mensch sich mittelalterliche Strukturen wünscht? Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die sich kritisch mit Themen auseinandersetzt und verantwortlich handelt und nicht Mitglied einer Organisation sein, die eine blutige Spur des (Massen-)Mordes, der Folter, der Verbrennung und Verfolgung nach sich zieht, Frauen, Homosexuelle und Andersdenkende (noch in der heutigen Zeit) unterdrückt.

»Soviel du willst.« [Motto des Kirchentages 2013]

Ich antworte: »Danke, ich habe schon lange genug …«

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