Kultur

Die Angst vor der absoluten Einsamkeit

Einen guten Roman auf die Leinwand zu bringen, birgt meiner Meinung nach immer Risiken. Oft bleiben die Phantasiegebilde, die während des Lesens entstehen, beim Betrachten des Filmes auf der Strecke und werden enttäuscht.
Julian Roman Pölsler ist als Drehbuchautor und Regisseur eine grandiose Verfilmung des Buches „Die Wand“ von Marlen Haushofer gelungen.

Der Roman der früh verstorbenen Autorin handelt von einer Frau mittleren Alters, die zusammen mit ihrer Cousine und dessen Mann einige Tage in einem Jagdhaus in den Bergen verbringen möchte. Das Paar kehrt von einem abendlichen Ausflug in das Dorf nicht mehr zurück. Über Nacht hat eine unsichtbare, undurchdringbare Wand die Frau von der Außenwelt abgeschnitten. Jenseits der Wand herrscht Totenstille.
Erstaunlich schnell arrangiert sich die Protagonistin mit ihrem Schicksal. Sie verspürt den Wunsch weiterzuleben, obgleich sich ihr keinerlei Zukunftsperspektive bietet, und beginnt, sich auf ein Leben in totaler Einsamkeit und Selbstversorgung mit Ressourcenknappheit einzurichten. Alleinige Weggefährten sind ein Jagdhund, den das Paar zurückgelassen hat, später eine Kuh und eine Katze.

Im Kladdentext des Buches ist zu finden, dass „… ihre Bücher erst nach ihrem Tod großen Erfolg [hatten], als die Frauenbewegung sie für sich entdeckte“ (Haushofer, Marlen: Die Wand, S. [2]). Der feministische Ansatz, so konnte ich in einigen Quellen nachlesen, manifestiere sich am freundlicheren Umgang mit den im Buch dargestellten weiblichen Tieren (Kuh, Katze) sowie die Tötung des Mannes in der letzten Szene, eine Beseitigung der „letzten Unfreiheit“.

In einem Interview wird Martina Gedeck über ihre Rolle als Hauptfigur in dem Film befragt. Ich finde ihren Ansatz interessant, alle Interpretationen in Hinblick auf Machtverhältnisse und Zivilisationskritik würden letztlich nicht überzeugen, da „Haushofers Geschichte nicht einfach auf äußere Dinge übertragen werden“ könne. Frau Gedeck denkt dabei an etwas Existenzielles, ein „einschneidendes Erlebnis sein, etwas, das ihr den Weg zu ihrer Vergangenheit versperrt“ (z.B. Krankheit, schwerer Unfall).
Ebenfalls klug finde ich ihren Gedanken, dass die Wand für die Protagonistin keinen Verlust der Außenwelt darstelle, vielmehr eine Bereicherung, da sie „ihr altes Leben von sich selbst entfremdet empfunden“ habe.

Nur wir sind dazu verurteilt, einer Bedeutung nachzujagen, die es nicht geben kann. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals mit dieser Erkenntnis abfinden werde. Es ist schwer, einen uralten eingefleischten Größenwahn abzulegen. Ich bedauere die Tiere, und ich bedauere die Menschen, weil sie ungefragt in dieses Leben geworfen werden. Vielleicht sind die Menschen bedauernswerter, denn sie besitzen genausoviel Verstand, um sich gegen den natürlichen Ablauf der Dinge zu wehren. Das hat sie böse und verzweifelt werden lassen und wenig liebenswert. Dabei wäre es möglich gewesen, anders zu leben. Es gibt keine vernünftigere Regung als Liebe. Sie macht den Liebenden und dem Geliebten das Leben erträglicher. Nur, wir hätten rechtzeitig erkennen sollen, daß dies unsere einzige Möglichkeit war, unsere einzige Hoffnung auf ein besseres Leben. Für ein unendliches Heer von Toten ist die einzige Möglichkeit des Menschen für immer vertan. Immer wieder muß ich daran denken. Ich kann nicht verstehen, warum wir den falschen Weg einschlagen mußten. Ich weiß nur, daß es zu spät ist. […]
(Haushofer, Marlen: Die Wand, 1968, S. 238)

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